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Podiumsdiskussion beim
Wohnungslosentreffen Freistatt 2024

Am Dienstag, den 30.07.2024 fand am Nachmittag während des 9. Wohnungslosentreffens im Sinnesgarten in Freistatt auch wieder eine Podiumsdiskussion mit Expert*inn*en in eigener Sache (also Menschen mit Erfahrungen von Obdach- oder Wohnungslosigkeit) und vielen Gästen im großen Versammlungszelt statt.

Das Thema

Auf dem Podium

Dieses Ziel des Nationalen Aktionsplans gegen Wohnungslosigkeit gab verschiedene Ansatzpunkte für die anderthalbstündige Podiumsdiskussion mit folgenden Teilnehmenden;

  • Uwe Eger (Selbstvertretung SwM e.V.)
  • Ilse Kramer (Selbstvertretung SwM e.V.)
  • Maria Loheide (Diakonie Deutschland)
  • Volker Meyer (CDU, MdL)
  • Annika Maretzki (Fachreferentin Frauen, Digitalisierung,
    und digitale Teilhabe, BAG Wohnungslosenhilfe)
  • Brian Nickholz (SPD, MdB)
  • Hartmut Nölling (Selbstvertretung SwM e.V.)
  • Pastor Thorsten Nolting (Geschäftsführung Bethel im Norden),
  • André Riemer (BMWSB, NAP gegen Wohnungslosigkeit)
  • Karl-Heinz Ruder (Kommunaljurist / Stadtrechtsdirektor i. R.)
SwM e.V. - Wohnungslosentreffen 2024 - Podiumsdiskussion - 30.07.2024
SwM e.V. – Wohnungslosentreffen 2024 – Podiumsdiskussion – 30.07.2024

Diskussionsverlauf

Die Podiumsdiskussion wurde von Frank Kruse (Wohnungslosenhilfe Freistatt) moderiert, der nach Begrüßung und kurzer Vorstellungsrunde die Diskussion mit folgender Frage eröffnete:

Es folgte eine lebhafte Diskussion, bei der alle Beteiligten auf dem Podium ein Grundverständnis für die Problematik armer, obdachloser und wohnungsloser Menschen zeigten.

Für Uwe Eger war das ein eigenes Zimmer – auch zum Schutz seines Eigentums – als Grundlage, aber auch mehr Einbeziehung ins gesellschaftliche Leben, um nicht in seinem Zimmer einsam zu „versauern“.

Was darf leistbarer Wohnraum kosten?

Ilse Kramer hatte eine klare Forderung: „Leistbaren Wohnraum erhalten und schützen!“

Sie forderte auch dazu auf, Leerstand von Wohnraum nicht mehr zu tolerieren und verwies auf das Projekt „Leerstand dokumentieren“.

Volker Meyer sah für die Schaffung und den Erhalt von bezahlbarem Wohnraum Gemeinden und den Wohnungsbau gefragt. Beim Thema Notunterkünfte fragte er nach der Finanzierbarkeit verbesserter Hilfen und forderte, dass unsere Gesellschaft auch verstärkt private Vermieter einbeziehen müsse, und ehemals obdachlose Menschen auch als Mitmenschen und als mögliche Mieter anzusehen.

Wann darf Wohnraum beschlagnahmt werden?

Frank Kruse stellte dazu die Frage, wann Beschlagnahme von Wohnungen erfolgen müsste?

Karl-Heinz Ruder machte dabei eine fragwürdige Zurückhaltung der Kommunen aus und vermutete die Abwägung von „Schutz des Eigentums“ und befürchtete Ausgleichszahlungen (in der Folge von Enteignungen) als Grund für zögerliches Handeln.

Enteignungen bei akuter Wohnungsnot sollten aber mehr angedacht und zumindest auch angedroht werden. Er sah Parallelen zur Nachkriegszeit, in der er auch den Ursprung der heute unzureichenden „Mindeststandards der Notunterkünfte“ sah.

Mindeststandards für Notunterkünfte
– wer legt die fest?

Zum Thema Notunterkünfte fragte Frank Kruse Brian Nickholz, ob diese „Mindeststandards“ nicht einfach hochgeschraubt werden könnten?

Nickholz verwies dazu auf die Verantwortung der Kommunen durch die Gesetzeslage bzw. unseren Föderalismus. Zuletzt sei es ja auch eine Frage der Verantwortung der einzelnen Nothilfe-Einrichtungen.

Auch André Riemer zeigte deutliches Verständnis für Forderungen nach Verbesserungen, die aber seiner Erfahrung nach nur Schritt für Schritt erfolgen könnten. Kostenfragen und Kommunalfinanzen erforderten dabei immer wieder politische Kompromisse auf verschiedenen Ebenen – denn es handele sich um komplexe Verhandlungsprozesse.

… und wie sollten Mindeststandards aussehen?

Frank Kruse fragte danach Annika Maretzki nach den Vorstellungen der BAG Wohnungslosenhilfe. (siehe BAG-W-Erklärung gegen Wohnungsnot, die heute leider noch genauso aktuell ist wie 2015)

Prävention und Wohnungserhalt seien sehr wichtig. Fehlende Sozialbetreuung bei viel zu langen Aufenthalten in Notunterkünften und das Fehlen jeder Unterstützung seien sehr problematisch, sagte Frau Maretzki. Die Festlegung von Mindeststandards müsse aber auch bedarfsgerecht je nach Gruppe der untergebrachten Menschen erfolgen.

Ilse Kramer brachte dazu ihre Erfahrungen zur Sprache, dass obdach- und wohnungslose Menschen sehr oft nur noch in Resignation ausharren würden, das sei eine direkte Folge der menschenunwürdigen Verhältnisse in praktisch allen Notunterkünften.

Frank Kruse fragte dann Maria Loheide nach ihren Hoffnungen auf Besserung mit dem NAP gegen Wohnungslosigkeit?

Frau Loheide fragte direkt nach der Priorität, die unsere Regierung dem NAP-W zugestehe? – schon dessen Finanzierung erscheine ihr fragwürdig. Zu wenig Engagement oder Nichtstun werde für unseren Staat langfristig aber noch teurer werden!

Sie forderte bundesweit einheitliche Standards für Notunterkünfte, zweifelte aber am „gemeinsamen politischen Willen“ für nachhaltige Verbesserungen.

Brian Nickholz gab zu, dass die Politik wohl einiges an Vertrauen verspielt habe, er beobachte aber schon eine grundsätzliche Gesprächsbereitschaft in der Regierung. Zuletzt seien dann mit den Ländern Lösungen zu finden – wobei die Bereiche Armut und Armutslagen erfahrungsgemäß schwierige Themen seien.

Rechtlose obdachlose Menschen?

Dazu fragte Karl-Heinz Ruder, warum obdachlose so „rechtlos“ seien und die bekannt schlechten Notunterkünfte mit ihren fraglichen Regeln akzeptieren müssten? Er sehe die weitgehenden Einschränkungen in Notunterkünften sehr kritisch. Dabei zweifelte Herr Ruder die Rechtmäßigkeit der Notunterkünfte generell an.

Mit der strafbaren Obdachlosigkeit früherer Zeiten und den zu beobachtenden repressiven Maßnahmen obdachlosen Menschen gegenüber – auch heute noch – könne er sich die heutige Situation der Notunterkünfte zwar erklären. Die rechtliche Zulässigkeit würde er aber deutlich in Frage stellen und unsere Gesellschaft dürfe sich seiner Meinung nach nicht mit dem Status quo abfinden.

Rechtliche Möglichkeiten zum
Einfordern besserer Standards?

Damit stelle sich die Frage nach einer Gesetzesinitiative – oder aber nach direkten Klagen einzelner obdachloser Menschen, die von den unhaltbaren Verhältnissen in Notunterkünften betroffen seien.

Das veranlasste Frank Kruse nach Möglichkeiten zur Zusammenarbeit zu fragen, ob Karl-Heinz Ruder z. Bsp. eine Vorlage für eine Klage oder für eine mögliche Anfrage im Bundestag (oder einem geeignetem Ausschuss, wie Brian Nickholz es andeutete) schreiben könne?
Eventuell werde André Riemer dann ja zu einer Stellungnahme aufgefordert?

[Für die Selbstvertretung: Wir sind gespannt, was sich aus diesen Überlegungen noch ergeben könnte, um die Situation obdachloser Menschen in Zukunft wirklich effizient zu verbessern.]

Die Rolle von Einrichtungen und Gesellschaft

Frank Kruse fragte dann Pastor Thorsten Nolting nach der Geschichte von Bethel und der Diakonie Freistatt, in wie weit denn Bethel als Institution mitwirken könne bei der konkreten Verbesserung von Notunterkünften?

Pastor Nolting sprach die Entstehung der „Arbeiterkolonie“ Freistatt um die 1900-er Jahrhundertwende an, was damals als gutes Konzept angesehen wurde. Ein „Neues Leben“ auf der „Grünen Wiese“ könne aber heute nicht als Lösung unserer Wohnungskrise gelten.

Unsere Gesellschaft müsse allen Mitbüger*inn*en ein selbst bestimmtes Leben am Wohnort ihrer Wahl ermöglichen, in ihrem „Quartier“ – aber nicht abgelegen und abgeschoben im Industriegebiet und in Massenunterkünften. Er forderte auch, dass Notunterkünfte nur „ein bisschen besser machen“ bei der aktuellen Notlage nicht reichen könne, nicht reichen dürfe!

Publikums-Fragen

Auf die Publikumsfrage nach einem Verbot von „Urlaubswohnungen à la Air-BnB“ verwies Brian Nickholz auf die Ausnutzung von Gesetzeslücken, was ein europäisches Problem besonders in Großstädten sei – für das Lösungen gefunden werden müssten.

Eine andere Frage kam zum Thema „Leistbare Wohnungen für jeden Menschen?“: Ob wir leistbare Wohnungen mit einem Mietendeckel sicherstellen könnten? Und ob nicht eine besondere Besteuerung der (großen) Wohnungs-wirtschafts-Unternehmen für soziale Zwecke nötig sei?

Brian Nickholz sah positive Auswirkungen der Mietpreisbremse, auch wenn der Mietmarkt problematisch bleibe. Wohn-Gemeinnützigkeit müsse auch stärker gefördert werden.

Maria Loheide sah da aber deutliche Defizite und keine wirkliche Besserung zur Zeit. Besonders private Vermietung zu „sozialen“ Mietpreisen sei sehr unterentwickelt.

Forderungen an Einrichtungen und Vermietende

Pastor Nolting musste auch eingestehen, dass das zur Verfügung stellen von bezahlbarem Wohnraum derzeit nicht das Kerngeschäft von Bethel sei, auch wegen fehlender ausreichender Mittel für diesen Zweck.

Maria Loheide sah so insgesamt noch viele Stellen für unsere Gesellschaft, an denen viel effektiver zusammen gearbeitet werden müsse. Gemeinwohl-orientiertes Handeln dürfe dabei nicht an der Kostenfrage scheitern!

Aus dem Publikum kam auch noch die berechtigte Frage: „Eigentümer als Vermieter für leistbare Sozialwohnungen fördern? – aber wie?“

Brian Nickholz machte dann noch darauf aufmerksam, dass es auch nötig sei, darauf zu achten dass es um die Schaffung von „bewohnbaren“ Wohnungen gehe! Er stellte deshalb die Frage nach einem „Schrottimmobilien-Schutzgesetz“.

Die Runde war sich zuletzt einig, dass künftig alle Fördergelder zielgerichtet verwendet werden müssten. – „Eigentum verpflichtet!“ – das müsse auch mehr eingefordert werden.

Damit entließ Frank Kruse die Diskussionsrunde und alle Teilnehmenden zum gemeinsamen Abendbrot im Verpflegungs-Camp. Dort konnte dann auch noch weiter diskutiert werden.


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Wohnungslosentreffen 2024 – Podiumsdiskussion am 30.07.2024

Fazit

Für die Selbstvertretung wohnungsloser Menschen blieb ein etwas fragender Eindruck zurück:

Für arme, obdach- und wohnungslose Menschen ist die eigene Wohnungsfrage angesichts der Mietenkrise (des oft erlebten „Mieten-Wahnsinns“) immer wieder ein existenzielles Problem.

Wohnungsverlust – oft z. Bsp. nach Eigenbedarfskündigungen oder Vermieterwechsel – stellt besonders arme Menschen vor kaum lösbare Probleme, immer mit der Möglichkeit, auch wieder erneut wohnungslos zu werden!

Ob unseren Politiker*innen diese Problemlage von immer mehr Menschen und Familien – auch zunehmend aus der Mitte unserer Gesellschaft – ausreichend bewusst ist?
– Wir haben da so gewisse Zweifel.

Das sind unserer Meinung und Erfahrung nach sehr hoch gesteckte Ziele. Gute sechs Jahre Zeit hat unsere Regierung dazu noch.

Ende 2030 werden wir dann dazu unser abschließendes Urteil an dieser Stelle veröffentlichen.

„Möge das Großprojekt NAP gegen Wohnungslosigkeit“ erfolgreich enden – auch wenn es offensichtlich noch sehr viel zu tun gibt.

Im Sinne einer Weiterentwicklung unserer sozialen Gesellschaft, unserer Sozialen Marktwirtschaft und zum Wohle unserer Demokratie, unseres noch größeren Projektes „Gemeinsames Europa“.



Text: Jens Roggemann (nach einer Mitschrift von der Diskussionsrunde) |
Fotos: Hari Januschke & Jens R.

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